Rubinhaus

Rubin – Die Metapher von der Stille des Felsen
Nur ein schmaler Weg führt an der Kirche Christkindl vorbei. Er führt zum alten Haus, etwa 100 Meter dahinter im Wald. Früher einmal, um 1750, das „Todtengraberhäusl untern Himmel“ genannt. Ein Haus, das für die Erbin zeitgemäß bewohnbar werden sollte, ohne seine Mystik und Schwere zu verlieren. Das Projekt visualisiert den Versuch, die vorgefundenen Qualitäten weiterzubearbeiten, zu betonen und zu transformieren. Der Zubau soll die Aura des alten Gebäudekerns in sich aufnehmen, aber klar lesbar als Zeuge seiner Zeit auftreten und sich vom Bestand differenzieren. Es kann der Betrachter, wenn er will, die einzelnen Elemente des so neu entstehenden Ensembles beurteilen, welches die Ruhe der harmonisch an die bewaldete Geländekante gefügten Baumasse beibehält.

Keiner der dialektisch in Erscheinung tretenden Gebäudeteile soll aufdringlich herausstechen. Alle wahllos wirkenden Zu- und Umbauten der Vergangenheit werden wieder rückgängig gemacht. Die Ausformulierung von freien Negativräumen durch die L-Form beim Altbau und die entstehenden hofartigen Situationen mit Mauern beziehungsweise Hängen wird weitergeführt, indem der Zubau vom Bestand abgesetzt und nur durch einen Glasgang verbunden wird. Es ergibt sich eine Verdopplung der L- zu einer T-Form. An der Stelle des früheren Vorgartens entsteht ein intimes Peristyl, das vom Carport im Westen, vom Arkadengang zur Straße hin und vom Haus im Osten begrenzt wird.

An der Rückseite des Hauses – für den Fremden nur vom Tal aus zu sehen – wird die sinnliche Stimmung am intensivsten. Der neue Block ruht auf einem Sockel an der Kante eines felsigen Abhangs, ein glänzender Kristall im Wald – der Rubin. Seine Farbe vermittelt als eine dunkle Variante des Altrosas des bestehenden Hauses zwischen den bestehenden und neuen Teilen des Ensembles, zwischen artifiziellem Körper und Naturraum. Sie ist direkt auf den Hohllochziegel aufgetragen. Eine Haut aus Industrieglas zieht sich quaderförmig über die Mauern und lässt den Rubin glänzen. Je nach Wetterlage, Jahreszeit oder Blickwinkel ändern sich Schimmer und Farbenspiel, tritt die Struktur der Glasbahnen unterschiedlich stark hervor. Nur ein schmales Band durchstößt stellenweise diese Haut, um den Menschen im Inneren einen Ausblick über das Steyrtal zu verschaffen. Drinnen herrscht eine dunkle, gedämpfte Atmosphäre, die das Gefühl eines Beobachterpostens vermittelt, das Panoramafenster scheint das einzig wesentliche Element im Raum zu sein.

Die neue Funktionsorganisation entspricht der heutigen Nutzung, ausgehend von einer Trennung der halböffentlichen und der privaten Sphäre. Dazu wird es notwendig, das Gebäude – anstelle vom intimen Garten aus – von der hofartigen Ostseite zu erschließen und den Eingang zentral zu situieren. Dadurch gelingt es, Schlafzimmer und Bad abgegrenzt im querstehenden Trakt unterzubringen. Der Weg von der Straße zum Haus wird von einer überdachten, verglasten Brücke gebildet, die den Blick auf diesen phantastischen Negativraum für die Öffentlichkeit freigibt. Sie erscheint zerhackt und wieder zusammengefügt, was sie leichter wirken lässt. Symbolisch markiert der Pylon, der die obere Platte der Brücke trägt, den Zugang. Auf der anderen Seite des Eingangsbereiches liegt dann die halböffentliche Zone für Gäste, das heißt Empfang, Essen, Galerie, Wohnen, Bibliothek, Büro. Diese gruppieren sich um einen zweigeschoss-hohen Luftraum, welcher das Untergeschoss miteinbezieht. Dort, wo jetzt zusätzliche Fläche nutzbar geworden ist, bildet eine Badewanne hier den Mittelpunkt zwischen grauem Sichtmauerwerk und dichtem Waldbewuchs außerhalb der Glasscheibe.

Mehrere Raumschichten sind zwischen Eingang und Rubin hintereinander gelagert, erwecken Neugier auf ein weiteres Vordringen und bringen den Talblick bis ins Innere des Altbaus. Um die wenigen Umbaumassnahmen zu verdeutlichen, sind alle neu eingefügten Wände aus Betonstein hergestellt. Generell sorgen ordnende, ruhige Formen differenzierter Einzelteile für klare Orientierung in einem spannungsreichen Raumgefüge. Spannungsreichtum, wie er für diesen sinnlichen, manchmal mystischen Ort der Ausblicke und Lichtstimmungen ohnehin charakteristisch ist. Das Haus besitzt die Stille des Felsens.

Status
Gebaut

Christkindl
1997-1999

Fotos
Paul Ott