Profil

Architektur beschreibt das, was uns an unserer gebauten Umgebung berührt. Die ersten Eindrücke, die in Sekundenbruchteilen Gefühle in uns wecken, noch bevor ein Verständnis aufzukommen vermag. Das ist für mich das Wesentliche an Gebäuden und Freiräumen. Das ist diese oft zitierte Atmosphäre, die Menschen aufhebt, die wir auch beeinflussen können und müssen. Denn unsere erlebte Welt ist beinahe gänzlich artifiziell und ihre Wirkung auf Betrachter, Bewohner oder Besucher ist ganz einfach schon deshalb wichtig, weil die meisten Menschen in Städten leben. Die Archäologie zeigt auf, dass Zivilisationen am Gebauten festzumachen sind. Die Architektur im Sinne eines emotionalen Ausdrucks ist ein gesellschaftlicher Wert, den es wie Menschenrecht oder Demokratie zu verteidigen gilt. Sie ist einer jener Werte, auf die im Wohlstand all zu schnell vergessen wird, weshalb wir nicht aufhören dürfen, darauf hinzuweisen.Für mich persönlich ist gerade der Aspekt der Stimmung beziehungsweise der Gestimmtheit der Zugang zum Gestalten. Das Entwerfen ist ein Denken und Bearbeiten von Anmutung und Schönheit, der äußeren Schönheit, dem Maß der Dinge, und der inneren Schönheit, dem Kern der Dinge.

Seit Anbeginn meines Büros prägt die Auseinandersetzung mit der vom Raum definierten Atmosphäre und deren Kommunikation den Entwurfsalltag. Schon im Volksschulalter hatte ich Grundrisse von Plätzen meiner Heimatstadt Steyr auf skizziert, weil ich offenbar von der räumlichen Stimmung beeindruckt war und diese für mich fassbar verarbeiten wollte. Ein Übersetzen also, von der komplexen Wahrnehmung in die Zweidimensionalität, wenn diese auch inhaltlich reduziert ist. Aber erst sehr viel später ist mir dieser Zugang bewusst geworden und hat letztlich dazu geführt, Architektur zu studieren. Die kindliche Freude am Erschaffen, das Beobachten und Genießen von sinnlichen Orten ist bis heute die Motivation meines Denkens. Und so schwer diese Atmosphäre auch beschreibbar und vermittelbar ist, sie ist die Essenz dessen, was Architektur ausmacht. Sie ist der Grund dafür, warum Menschen Orte bespielen und besetzen wollen. Und in gewissem Sinne ist die Lust auf ein Verwenden auch die sicherste Form von Nachhaltigkeit und Flexibilität.

Deshalb war es für mich nötig, Atmosphärisches als Thema im Entwurf begreifbar und damit bearbeitbar zu machen, so etwas ähnliches wie ein bürointernes Vokabular zu entwickeln. Im Entwurfsprozess gibt es daher schon am Anfang neben dem Verstehen und Einbringen von funktionaler Logik auch eine Herleitung von Stimmungen. Ein Herantasten und Probieren unterschiedlicher Proportionen von Baumassen und Freiräumen. Länge. Breite. Höhe. Ein Sammeln von Metaphern und Wiedererinnern an starke Stimmungen in natürlichen oder artifiziellen Raumsituationen. Wie in einer Schlucht. Wie unter der großen Eiche. Und das Verständnis, dass alles Umbau ist. Es gibt immer Orte die wir verändern – und hoffentlich verbessern. Mit dem Aufspüren der Tradition und dem künstlerischen wie gesellschaftlichen Ausdruck.

Der Prozess beginnt im Entwerfen mit dem Bewusstmachen einer Sehnsucht. Dann kommt das Probieren, Verwerfen, manchmal Frust und wieder Beginnen. Das gehört dazu. Diskutiert wird im Projektteam, das vermindert ganz einfach blinde Flecken. Und dabei immer wieder – oft durcheinander – das Denken von Ausdehnung, Stellung, Situation, Form, Inhalt und Aussage. Von wo soll das Licht einfallen, wie fühlt sich der Boden an, wie riecht es, wie soll sich der Durchgang anhören? Im Buch ‚Space and Texture‘ (Springer Verlag, 2009) hat Matthias Boeckl als Herausgeber in fünf Kapiteln fünf unterschiedliche atmosphärische Themen beschrieben, die das Oeuvre von HERTL.ARCHITEKTEN zu dieser Zeit aufspannen. Dabei sind keine Bauten erklärt, sondern vielmehr vergleichbare Raumsituationen verschiedener Projekte gegenübergestellt, um deren Wirkung darzustellen. Dies ist sicher ein geeigneterer Versuch, den Anspruch und das Wesen meiner Architektur auf den Punkt zu bringen, als eine Beschreibung vieler Projekte. Denn, was diesen Häusern und Orten gemein ist, ist der Fingerzeig auf Sinnliches, auf stark Spürbares der angebotenen Raumhüllen. Mir gefällt der Gedanke, dass Menschen sich darin unvorhersehbar bewegen und aufhalten. Wichtig ist, dass sie das Umfeld für sich annehmen.

In meinem Büro arbeiten wir im Team. Ein Miteinander auf Augenhöhe ist dafür unbedingt erforderlich, da jeder Gedanke und die beste Idee zählt.

Gernot Hertl